Kapitel 15 - Enviroment und Logistik

 Im Gegensatz zum Tanzen steht der Rest unseres Ehelebens klar unter Evas Regie. Sie drängt sich dabei nicht in den Vordergrund - sie übernimmt Stück für Stück alles, was bei mir nicht recht vorankommt oder suboptimal läuft. Und das passiert nicht mit Pauken und Trompeten, sondern fast unmerklich.

 Meine strategisch begabte Eva schafft eine Wohlfühl-Umgebung, die ich dankbar annehme – und anfangs auch kaum bemerke. Typisch Mann eben. Ich vermute zuerst ein spezielles Gen - nennen wir es das „Mecklenburger Pflege-Gen“ - das dafür verantwortlich ist.

 Natürlich beginnt alles mit der Verpflegung. Eva hat die Küche von Anfang an okkupiert. Wenn ich anbiete, mich zu beteiligen - immerhin will ich ein feinnerviger, sensibler Mann werden – ernte ich nur ein freundliches Lachen.

 Ihr Argument: Sie ist geübter im Küchenmanagement und will es auch nicht aus der Hand geben. Nach einem anstrengenden Tag im Empathiemodus, Sozialgesetzbuch-Exegese und Behördendiplomatie ist die Küche für sie Ablenkung und Therapie zugleich. Dazu blutrünstige Krimis und das entsprechende Fernsehprogramm - schaffen einen Ausgleich für Ihren Job.

 Bei solchen Gesprächen erfahre ich ganz nebenbei, dass unser Land immerhin 14 Sozialgesetzbücher hortet, jeweils mit hunderten Paragraphen. Sie regeln alles - von der 

  •  Alterssicherung der Landwirte,
  •  Ausbildungsförderung, Elterngeld & Elternzeit,
  •  Kindergeld und Unterhaltsvorschuss,
  •  Opferentschädigung und Kriegsopferversorgung,
  •  Wohngeld und Teilhabe von Minderheiten, 
  •  bis hin zur Reichsversicherungsordnung 
     
    (immer noch gültig, obwohl es schon lange kein Reich mehr gibt)
 Manche dieser Gesetze stammen noch aus Bismarcks Zeiten, andere aus den 70ern - Newcomer sehen anders aus. Mit diesem Wust an Fußangeln muss Eva versuchen schwerverletzten Menschen eine neue Lebensgrundlage zu schaffen. Geld dafür gibt es nur nach zähen Kämpfen, manchmal über Jahre und quer durch alle Instanzen.

 Besonders Versicherungen scheinen von dem Geld zu leben, das sie ihren Versicherten mithilfe von Positivlisten und einem Heer von Anwälten vorenthalten. Habe ich eigentlich schon erwähnt, was ich von diesen Juristen halte?

 Doch wenn es gelingt - Umbau der Wohnung, Finanzierung, Wiedereingliederung in den Job - erntet Eva echte Dankbarkeit. Und ja, dann ist es ein schöner Beruf.

 

 Irgendwann registriere ich, dass ich in dieser Ehe noch nie etwas beim Nachbarn leihen, oder zu nachtschlafender Zeit von der Tanke holen musste. Wie macht sie das?

 Hier kommt Evas Logistiksystem ins Spiel. Mehrstufig, präzise und gnadenlos effizient. Mit ihr wäre das deutsche Expeditionsheer 1941 vermutlich bis Wladiwostok durchmarschiert – ob das wünschenswert wäre, sei mal dahingestellt.

 Herzstück der Operation: die ehemalige Besenkammer. Da weder ich noch BumBum Bobbele sie beanspruchen, hat Eva sie zum Hauptlager umfunktioniert. Ein Sammelsurium, das nur sie versteht - aber funktionieren tut’s, auf mysteriöse Weise. Und das, mein junger Freund, ist alles was zählt.

 Von dort füllt sie kontinuierlich Zwischenlager auf: in der Küche, im Wohnzimmer, in unserer linksrheinischen Kredenz aus Mooreiche - unserem ersten gemeinsamen Möbelstück, ersteigert irgendwo im Rheinland.

 Von diesen Zwischenlagern aus erfolgt die Versorgung des aktiven Nutzungsbereichs. Ergebnis: kontinuierliche Verfügbarkeit von allem, was man im Haus so braucht – Klopapier, Getränke, Süßigkeiten, Verpflegung. Herrschaftszeiten, wir sind sowas von durchorganisiert!

 Ein heikler Punkt ist die „gefährliche Schublade“. Sie liegt in perfekter Impulshöhe der Kredenz, direkt auf dem Weg zum Chill-Sessel. Wer daran vorbeikommt, wird magisch angezogen von den himmlischen Gesängen der Chokolati. Gerade dieses Zwischenlager profitiert in besonderer Weise von Evas Logistiksystem und führt leider dazu, dass ich im Laufe der Zeit rein bauchtechnisch etwas zulege - aber wen stört das schon?

 Darf ich noch einen kleinen Exkurs in die Evolutionstheorie wagen? Der Grund, warum wir Männer vor einem vollen Kühlschrank so oft die Butter nicht finden, ist simpel – wir sind auf fliehende Beute programmiert. Unsere Augen sind auf die Ferne scharfgestellt, sobald wir etwas suchen. Alles in Armlänge wird automatisch unscharf. Wir können die Beute im Kühlschrank also gar nicht gleich sehen – das ist evolutionär einfach nicht vorgesehen!

Geben Sie es zu! Das wollten Sie schon immer mal wissen.

 

Hier rechts geht es demnächst zum nächsten Kapitel    


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen