Eva und ich beschließen, gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Eine Art Generalprobe - vier Wochen, nur wir zwei, auf engem Raum. Motorrad, Zelt, Sonne, Regen. Der Plan: besser kennenlernen.
Wobei ich ehrlich gesagt der Meinung war, dass ich Eva schon ziemlich gut kenne. Ich kann aber nur davon abraten, so etwas zu glauben.
Der Mann an sich kennt meist keine Beziehung. Er erkennt sie erst dann als solche, wenn die Frau seines Herzens sie ihm erklärt. Sensibel, feinsinnig, aufmerksam? Klar. Bin ich. Hilft aber nichts. Es gibt immer noch ein Kapitel, das du noch nicht gelesen hast.
Unser Plan: vier Wochen mit dem Motorrad durch Jugoslawien. Für mich nichts Besonderes. Für Eva: völliges Neuland.
Sie beichtet mir erst unterwegs, dass sie bisher nur in Flugzeugen oder Autos verreist ist - und übernachtet wurde ausschließlich in Hotels mit flauschigem Teppich. Trotzdem vertraut sie darauf, dass Urlaub mit mir... na ja, sagen wir mal: kompensiert.
Ist sie nicht süß?
Als wäre das alles nicht schon mutig genug, setzen wir noch einen drauf: Weil sie sich an meinem morgendlichen Prince-Danmark-Geruch stört, beschließen wir, gemeinsam mit dem Rauchen aufzuhören.
Wenn das nicht im Rausch der Verliebtheit klappt - wann dann?
Am ersten Abend, im Autoreisezug, verschenken wir mit stolzgeschwellter Brust unsere Feuerzeuge und die letzten Zigaretten an unsere Mitreisenden. Große Geste. Große Hoffnung. Große Fresse.
Autoreisezug
klingt immer ein bisschen romantisch: Man spart sich stundenlanges Autobahn-Geplacke, kommt ausgeruht in München an - so der Slogan der Bahn.
Die Realität: Gerüttel. Geruch. Keinen Schlaf. Dafür morgens Brötchen und dieser furchtbare, lösliche Kaffee, dessen Herkunft sich vermutlich in keinem botanischen Fachbuch nachvollziehen lässt. Aber: wenigstens ist das Zeugs heiß.
Das Abteil ist eng. Motorradfahrer müssen laut Bahn-Vorschrift 07/Unsinn ihr gesamtes Gepäck mit ins Abteil nehmen. Also stapeln wir Koffer, Tankrucksack und Helme wie Tetrisfiguren um unsere Füße - und grinsen uns durch.
Wir haben ja uns und den freundlichen Schaffner vom Misofa-Team.
München-Ost überrascht mit einem kleinen Service-Defizit: Keine Gepäckwagen! Wir schleppen unser Zeugs also per Hand über den kompletten Bahnhof. Aber egal - wir sind jetzt wirklich unterwegs.
Mein Motorrad: eine 850er Moto Guzzi, Typ California. Eine zickige italienische Diva mit rund sechzig ruppigen PS. Wenn sie will, fährt sie königlich. Wenn nicht, eben nicht. Aber genug Leistung für zwei Personen und Gepäck bringt sie mit. Komfort: zumindest theoretisch vorhanden.
In der Praxis heißt das: beengte Sitzposition, viel Körperkontakt - aber keine Eile. Wir müssen ja nirgendwo pünktlich ankommen.
Ich gewöhne mich schnell an das Gefühl weiblicher Rundungen an meinem Rücken. Ganz ehrlich: Pauschalreisen macht definitiv weniger Spaß.
Durch Österreich nehmen wir die schnelle Strecke - mautpflichtige Autobahn, durchs Gebirge. Wetter: durchwachsen. Laune: konstant gut.
Über Graz und Maribor erreichen wir Karlovac. Acht Stunden später sind wir durchgesessen wie zwei Pizzakartons. Quartier finden wir in einem kleinen Privathaus.
Morgen fahren wir eine kürzere Strecke. Eva sagt nichts, aber ich sehe ihr an, dass sie gerade Heldin der Tour ist. Ich liebe diese Frau.
Zu dieser Zeit ist Jugoslawien noch ein friedlicher, kommunistischer Vielvölkerstaat. Serben, Kroaten, Bosniaken - alle leben miteinander, heiraten sogar untereinander. Irgendwo läuft immer im Hintergrund diese patriotische Hymne mit den Refrain:"Yougoslawiooo, Yougoslawiooo" - Tito sei Dank.
Kleine private Pensionen und Restaurants entstehen, Tourismus wird langsam zugelassen. Der große Führer lächelt noch von allen Denkmälern. Mostar, Sarajevo, das ganze Land wirkt offen, lebendig und gastfreundlich.
Damals ahnt kaum jemand, wie brutal es dieses Land bald zerreißen wird.
Der Wahnsinn
beginnt 1991.
Bis dahin: Sommer, Sonne, sozialistischer Charme. Und ich - verliebt und froh, dass Sylvi keinen Zugang zu Schnellfeuerwaffen hat.
Wir machen einen Ausflug zu den
Höhlen von Postojna in Slowenien. Eine Schmalspurbahn bringt
uns tief hinein in ein unterirdisches Tropfsteinparadies.
Eva
ist tief beeindruckt. Ich nutze mein Angeber-Wissen und erkläre ihr
die Unterschiede zwischen Stalaktiten und Stalagmiten. Ich doziere
gerne, wenn ich glaube, etwas zu wissen, das andere dringend wissen
müssen.
Typisch männlicher Habitus, ich weiß. Aber Eva hört zu. Mit diesen großen Augen. Und das ist fast schon unheimlich schön.
Den nächsten Stopp machen wir an den Plitvicer Seen. Ein Nationalpark wie aus dem Märchen: türkisgrüne Seen, Kaskaden, schäumende Wasserfälle. Der älteste seiner Art in Südosteuropa - und ein echter Klassiker unter Naturfreunden.
Bekannt wurde die Gegend durch die frühen Karl-May-Filme. Old Shatterhand, Winneone und Winnetwo, Pierre Brice, Lex Barker und Dialoge, bei denen selbst der Tonmann weghören musste.
Zum Spazierengehen und Staunen ist es trotzdem perfekt - nicht nur für Verliebte, aber für uns gerade wie gemacht.
Danach wartet das Meer. Wir fahren ab Split auf der Adria-Magistrale Richtung Süden. Die Straße ist wunderschön - aber nachts brandgefährlich. Keine Seitenbegrenzung, keine Fahrbahnmarkierungen, keine Beleuchtung. Nur Felsen, Dunkelheit, und das gelegentliche Aufblitzen eines Scheinwerferpaars in der Ferne. Man sieht nicht, ob die Straße wirklich weiterführt - oder ob man gleich die Klippe abwärts segelt.
Wir drosseln das Tempo auf 30 km/h - Sicherheit vor Stolz.
Unsere Unterkunft finden wir in Duboka, südlich des Neretva-Deltas, bei Arsic Milowan, Serbe, seine Frau Moslem, Tochter Jasna - sie nehmen uns auf, als wären wir Teil ihrer Familie.
Milowan hat sein Haus eigenhändig in die Felsen von Duboka gesprengt. Wie alle im Ort. Stolz, Improvisation, pure Energie.
Er ist der Held des Dorfs - weil er es geschafft hat, eine Wasserleitung heranzuschaffen. Das hat ihn später aber nicht davor bewahrt, verjagt zu werden. Seine Tochter und er leben heute im niederländischen Exil. Damals aber... ist alles noch heil.
Wir verbringen drei wunderbar sonnige Wochen am Meer. Am Strand, im Wasser, im privaten Kaffee des Ortes. Es gibt türkischen Kaffee, der eher ein Dessert ist - und Baklava, so süß, dass es in den Zähnen singt.
Wir machen Ausflüge die Neretva hoch - nach Metković, Pribilovići, Mostar. Die Gegend ist geschichtsträchtig und wunderschön. Überall Minarette, Moscheen, Marktplätze wie Basare aus 1001 Nacht.
Eva verschlingt alles mit ihren großen, blauen Augen. Sie fragt viel, staunt oft, lächelt fast ständig. Und manchmal geht die Romantik mit ihr durch. Ich lasse sie gewähren. Es gibt Schlimmeres als eine Frau, die sich traut, glücklich zu sein.
In Sarajevo
gibt es entfernte Verwandte von Milowan, die uns durch die Altstadt führen - hilfsbereit, gastfreundlich, offen. Wir werden sogar in eine Moschee eingeladen - obwohl wir eindeutig keine Moslems sind.
Dieses Land hat viele Narben. Aber es versteckt sie gut. Und ich beginne, es zu lieben.
Unser Plan geht auf. Im Urlaub wachsen wir zusammen wie ein altes Ehepaar - nur besser gelaunt.
Oft reicht ein einziger Blick, um zu verstehen, was der andere braucht. Eva ist ein offenes Buch - und ich lerne, sie zu lesen. Glück ist, wenn alles so passt und mir wird klar, wie irre es war, an meiner Horror-Ehe festhalten und daran 'arbeiten' zu wollen.
Bei Eva wird nicht 'gearbeitet'. Wenn ich mal falsch liege, sagt sie es - Punkt. Kein Gezeter. Kein Nachtrag. Kein Pädagogik-Bullshit. Ich hoffe einfach, dass es so bleibt - mindestens bis zu unserer goldenen Hochzeit.
Sie lässt sich vollkommen auf mich ein. Kein Problem mit Stillsein, kein Kommunikationsdruck, kein “wir müssen mal reden”-Terror.
Wenn sie etwas sagen will, sagt sie es und wenn ich antworte, muss ich nicht jedes Wort vorher strategisch abwägen.
Irgendwann fragt sie: „Darf
ich mal dein Motorrad fahren?“
Natürlich
darf sie.
Auf einsamen Straßen üben wir das Fahren eines motorisierten Einspurfahrzeugs. Eva teilt meine Begeisterung - und beschließt, sich umgehend zum Führerschein anzumelden.
Es passt einfach - Punkt.
Hatte ich eigentlich schon unseren Nikotinentzug erwähnt?
Wir haben uns mit Nikotinkaugummis eingedeckt - Geschmack: als würde ein Nichtraucher einen vollen Aschenbecher küssen. Nicht hilfreich. Eher eine Strafe. Aber nach ein paar Tagen ist das Verlangen bereits weg. Einfach so. Kein Zittern, kein heimliches Zurückfallen, kein nächtliches Glimmstängel-Versteck im Tankrucksack.
Geschafft und bis heute nicht rückfällig geworden. Ich bin ja sowas von stolz. Sag’s nur niemandem.
Auf dem Rückweg
kurz hinter Klagenfurt, erwischt uns dann noch ein ausgewachsener Wolkenbruch. Wassermassen prasseln auf uns ein, als wollten sie uns vom Motorrad spülen.
Das Problem: Motorräder haben keine Scheibenwischer. Innerhalb von Sekunden sieht man - nichts mehr.
Wir stellen uns unter einen mickrigen Baum, der maximal Schatten spendet, aber keinen Schutz vor diesen Wassermassen. Wasser läuft überall hin. In die Klamotten, in die Stiefel, in jede noch so kleine Ritze.
Als es endlich aufhört, fahren wir weiter - bis nach Velden am Wörthersee. Dort finden wir ein kleines Hotel, trocken, freundlich und warm.
Eva verschwindet stundenlang in der Badewanne. Ich wärme mich anschließend an ihr und sie scheint nichts dagegen zu haben. Passt scho.
Hier rechts geht es zum nächsten Kapitel ➽
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