Eine bedauerliche Einschränkung hat meine neue Liebe dann allerdings doch: Sie kann nicht tanzen.
… jedenfalls nicht so, wie ich gerne tanzen würde. Zu meiner Schulzeit gab es in der letzten Klasse immer einen Benimmkurs, in dem uns jungen Rüpeln - und auch den jungen Mädchen - beigebracht wurde, was die Gesellschaft in den Sechzigern für ein Benehmen von uns erwartete. Das war teilweise recht steif und würde der heutigen Jugend sicher nur noch ein müdes Lächeln entlocken.
Unter dem Strich führte es aber dazu, dass man auf der neuen Lehrstelle nicht gleich am ersten Tag wieder gefeuert wurde, und wir kamen auch nicht auf die Idee, unsere Vorgesetzten oder Kunden mit "kuckst du, Alder“ oder "Opfer“ anzusprechen. Auch der Begriff "geil“ hatte seinen Weg noch nicht in die Umgangssprache gefunden oder wurde spätestens hier wieder aus ihr entfernt.
Das zweite große Event am Ende der Schulreife war
der obligatorische Tanzkurs
Standard- und Latino. Dazu muss man wissen, dass Tanzschulen in den Sechzigern einen richtigen Boom erlebten. Bei den meisten jungen Männern zwar verhasst (ein echter Mann tanzt halt nicht), aber andererseits konnte man hier ganz legal die Mädchen fingern, wenn man sonst keine bessere Möglichkeit dazu hatte. Man musste auch nicht mit einer peinlichen Abfuhr rechnen, denn es sprach sich schnell herum, dass den Mädchen die Ablehnung einer Aufforderung zum Tanz von der Anstandsdame bei Strafe verboten war.
Die Tanzschulen waren damals richtige Gesellschaftstempel - große, holzgetäfelte Säle mit glänzendem Parkett, manchmal ein Kronleuchter oder zumindest elegante Deckenlampen. An den Wänden standen Stühle mit Hussen, auf denen die Mädchen (oft in feinen Kleidern) und Jungen (meist in Hemd und Krawatte) auf ihren Tanzpartner warteten. In der Ecke spielte entweder ein Schallplattenspieler oder es gab einen Live-Pianisten. Der Tanzlehrer oder die Tanzlehrerin - immer adrett, fast schon vornehm - erklärte mit strenger Stimme und unerschütterlicher Geduld, wie man korrekt über das Parkett schwebt. Und natürlich gab es die berühmte „Anstandsdame“, die wie ein stiller Schutzengel über allem wachte.
Während also die eine Hälfte der Jungs sich für einen Tanzkurs zu männlich fühlte, war die verbleibende Hälfte in der Minderzahl, was zur Folge hatte, dass man sich seine Tanzpartnerin aus einem Überangebot aussuchen konnte. Eine solch positive Ausgangsvoraussetzung führte bei den verbleibenden Jungs zu einer ungeahnten Stärkung des Selbstbewusstseins, was eine tanzschulmäßige Haltung begünstigte: Kopf hoch, Schultern zurück und den Stock im Arsch fest einklemmen.
Hier kann man die besonders hochnäsigen Zicken allein dadurch abstrafen, dass nicht sie, sondern ihre eher unscheinbare beste Freundin zum Tanz aufgefordert wird - und jede Alpha-Schnecke hat mindestens eine solche um sich gescharrt, so wie eine Königin ihren Hofstaat. Das Lustige ist, dass uns Jungs diese seltsame Allianz meist erst spät auffällt - wir haben’s ja sonst nicht so mit subtilen Strategien.
Das ist auch schon eine seltsame Symbiose, von der offenbar beide Mädchen etwas für sich gewinnen. Die eine sonnt sich in den ungewohnten Aufmerksamkeiten, die den Alphas nun mal zuteilwerden, und die Alpha braucht die Unscheinbare, um noch besser auszusehen. Außerdem scheint das Vorhandensein einer vertrauten Verbündeten ihre Selbstsicherheit zu verstärken. Mit ihrem Gegenpart kann Frau sehr schön hinter vorgehaltener Hand kichern und so Distanz zu den Pullunder-Spackos und Garnichts-Checkern herstellen.
Ich kann mich jedenfalls nicht entsinnen, vorher schon einmal eine derartige Machtfülle im Geschlechterkrieg auf meiner Seite gehabt zu haben.
Dieser Umstand und natürlich auch ein bisschen musikalisches Taktgefühl waren ursächlich für meinen Spaß am Tanzen und verführten mich dazu, nach Abschluss des Grundkurses weitere Kurse für Fortgeschrittene sowie den Bronze-, Silber- und Goldkurs zu besuchen. Meine Eltern waren begeistert ob meiner gesellschaftlichen Assimilation - war ich doch bisher eher durch chronische Rebellion und gelegentliche Raufereien aufgefallen, und meine eher persönliche Motivation habe ich natürlich nicht offen kommuniziert - sowas macht ein Mann einfach nicht.
Sie bezahlten ohne große Diskussion die Gebühren der Kurse, angemessene Kleidung und ein paar sauteure Tanzschuhe. Diese Dinger haben durch ihre spezielle Bodenhaftung mir auch die Drehungen des Wiener Walzers nahezu unfallfrei ermöglicht. Meine Bemühungen auf dem Tanzparkett wurden von den Mädchen auch durchaus honoriert, und ich avancierte zu einem gern gesehenen Tanzpartner. Leider führte das nicht zu einem besseren Verständnis, was in den Köpfen der holden Weiblichkeit so vor sich geht. Die eine oder andere angehende Beziehung zerbrach deshalb schlicht an meinem Unverständnis.
Was bleibt, ist mein Spaß am Tanz - aber was gar nicht geht, ist Disco-Fox, Schiebermax, Klammer-Blues, US-Freistil-Schulterwackeln oder was sich sonst noch auf Familienfeiern und US-Filmen so auf der Tanzfläche abspielt. Am liebsten sind mir die lateinamerikanischen Tänze: Rhumba, Samba oder Tango, die aber allesamt viel Platz auf der Tanzfläche erfordern, dafür aber immer recht elegant aussehen, wenn die Schritte erstmal sitzen. Wenn man dann noch das dümmliche Grinsen der Turniertänzer weglässt, sieht so ein Latino-Tanz auch ohne viel Übung und mit wenig Platz meist einigermaßen sexy aus und was sexy ist, wussten wir alle: Elwie minus Fünfwi nämlich.
Wegen dieser positiven Erinnerungen will ich Abhilfe schaffen und melde meine Eva und mich kackfrech zu einem
Anfänger-Tanzkurs an - mal sehen, wie sie darauf reagiert.
Tja - zuerst einmal nicht ganz so erfreut, wie von mir erwartet. Meine Frau hat seltsame Vorstellungen davon, wie es in einer Tanzschule vor sich geht. Mit salbungsvollen Worten und dem Film Darf ich bitten mit Richard Gere und Jennifer Lopez kann ich meine zukünftige Tanzprinzessin dann doch überreden, dieses Wagnis mit mir einzugehen. Der Film jedenfalls begeistert uns heute noch.
An einem viel zu warmen Freitagabend schleppe ich meine Prinzessin also zu der relativ neuen Tanzschule am Ring 3. Der 'Tanzsaal' hat damals zwar den Charme einer Turnhalle, aber auch eine angeschlossene RhumBar, in der man sich etwas Mut antrinken und sich kennenlernen kann. Das löst die 'Verklemmungen' etwas, und die ersten Schritte im langsamen Walzer sind einfach gelernt.
Durch meine noch halbwegs präsenten Tanzkenntnisse ist auch das Führungsproblem bei uns nicht existent. Im Vergleich zu den anderen Anfängern jedenfalls gibt es zwischen uns keine Diskussion um dieses Thema. Eva lässt sich sehr schön über das Parkett lenken und macht alles mit, was ich vorgebe. Dominanz ist zwar in unserer Beziehung nicht unbedingt mein Ding und ich möchte auch auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass Eva nicht so agieren kann, wie sie es gerne hätte, aber hier lebe ich wirklich Dominanz aus - und es scheint ihr zu gefallen.
Nach kurzer Zeit habe ich jedenfalls eine Tanzpartnerin, die sich auf der Tanzfläche elegant bewegt und mit der ich herrlich angeben kann. Wir lieben beide die lateinamerikanischen Tänze und belegen einen Extrakurs, in dem der alte argentinische Tango mit dem 'Hümpelschritt' intensiv geübt wird. Das ist noch mal etwas ganz anderes als der moderne, eingedeutschte Tango, der heute in den Tanzschulen gelehrt wird. Tango Argentino ist pure Erotik auf der Tanzfläche - was habe ich doch für ein Glück!
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