Konfuzius
sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne
Ende.
Offenbar gab es 500 v. Chr. in China noch keine
Sozialpädagogen. Egal.
Ich habe mich für das Ende mit
Schrecken entschieden - und jetzt muss ich es einfach aushalten.
In der Realität kann so ein Ende mit Schrecken ziemlich nervenaufreibend werden. Vor allem, wenn man mit jemandem zusammenlebt, der bei Verlustängsten über sich hinauswächst - wie Sylvi. Die Sozialpädagogin in ihr reagiert auf Trennung mit einem: Jetzt erst recht kommunizieren!
Ich bemerke jedenfalls ein übersteigertes Bedürfnis nach Gesprächen. Hat sie mich nicht verstanden? Offenbar nur an der Oberfläche. Für sie ist meine klare Ansage bestenfalls der Einstieg in eine neue Diskussionsrunde.
Nach meinem Outing ziehe ich vorsichtshalber ins Arbeitszimmer um - Couch statt Bett, Sicherheitsabstand inklusive. Aber selbst nachts um halb drei ist man in diesem Haus vor rhetorischen Übergriffen nicht sicher.
„Wir müssen reden!“
Ich
blinzele in die Dunkelheit.
„Nicht wahr“, murmele ich „niemand muss um diese Uhrzeit reden.“
Hilft natürlich nicht. „Wie kannst du nur so ruhig sein? Du ruinierst gerade unser Leben!“
Ja gut, was soll man da sagen? "Welches Leben?" Nicht hilfreich, klar - aber um diese Uhrzeit bin ich nur bedingt gesellschaftstauglich. Und ganz ehrlich: Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt Hilfe will - schon gar nicht von mir.
Gefährlich wird es, als Sylvi merkt, dass Reden allein nichts bringt. Eines Nachts steht sie plötzlich vor meiner Couch - in der Hand: eine Brotsäge und eine Auswahl weiterer Küchenutensilien mit ... interpretierbarer Funktion.
Sie setzt die Werkzeuge allerding nicht final ein - noch nicht. Stattdessen fordert sie Aufklärung. Wortgewaltig. „Wie heißt die Kuh, mit der du mich betrügst?“
Ich sage nichts. Kein Wort. Ich verlege mich auf strategisches Abwiegeln: „Es geht gar nicht konkret um eine andere Frau. Es geht um den Zustand unserer Ehe. Der ist nicht mehr tragbar. Punkt.“
Ich bin stolz auf mich. Das war knapp. Exakt auf den Punkt gebracht. Und ich lebe noch.
Ab da schließe ich meine Zimmertür vorsichtshalber ab. Vorsicht ist die Mutter eines langen Lebens und die Brotsäge ist spülmaschinenfest.
Am Ende dieser Woche bin ich so durch den Wind, dass ich mein Treffen mit Eva einfach vorverlege. Freitagmorgen rufe ich im Büro an, melde mich arbeitsunfähig - emotionaler Totalschaden - und steige ins Auto. Hamburg-Mülheim: 450 Kilometer Fluchtstrecke.
Ich fahre wie immer: defensiv. 130,
wenn’s gut läuft. Und nach spätestens einer Stunde brauche ich
die erste Pause - idealerweise direkt hinter Harburg.
Dazu drei
weitere Stopps, ein müder Kaffee an der Raststätte, ein zu salziges
Brötchen, und die große Frage: Was
zur Hölle mache ich hier eigentlich?
Ich freue mich auf Eva, klar. Aber je näher ich Mülheim komme, desto mehr verwandelt sich meine Vorfreude in etwas, das ein wenig nach Panik riecht.
Sie weiß ja noch gar nichts von meinem Trennungs-Drama. Ich habe auch nie gefragt, ob sie für ... das hier überhaupt zur Verfügung steht. Vielleicht will sie nur lockere Besuche. Vielleicht gar nichts Festes. Vielleicht bin ich gerade dabei, mein altes Leben aufzugeben - für einen Entwurf, der gar nicht meiner ist.
Aber hey - wird schon, hoffentlich - oh Gott.
Manchmal wäre es wirklich besser, vorher ein bisschen zu planen. Mein Leben ist im Moment aber mehr Reaktion als Regie. Ich renne hinterher. Auf die typische Bewerbungsfrage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ habe ich mal gesagt: „Keine Ahnung - hab meine Brille nicht dabei.“ War ein Lacher. Ist aber leider auch mein Lebensmotto.
Wahrscheinlich ist das meine lange
verleugnete weibliche Seite - impulsiv, gefühlsgesteuert, null
Strategie. Gott sei Dank bin ich aber keine Frau. Ich glaube,
das wäre mir alles zu viel. Schon allein die vielen Fragen:
- Ist mein Hintern wirklich so dick?
- Warum meldet der sich nicht?
- Was fühle ich eigentlich gerade - und warum?
Dazu dann Hormonschwankungen, emotionale Schleifen, Zyklusphasen. Respekt.
Ich habe irgendwann Louann Brizendines Das weibliche Gehirn gelesen. Bestseller, klar. Aber für Männer? Eher verstörend. Da steht wirklich drin, was da oben (und unten) jeden Monat abgeht und das ist mehr, als der gemeine Mann so verkraften kann.
Trotzdem beneide ich Frauen irgendwie - sie fühlen mehr. Tiefer. Und nicht nur, wenn sich der Abspann eines Liebesfilms nähert. Ich hab mittlerweile auch ein paar Filme im Regal, bei denen ich ab und an heule - aber nur, wenn keiner zuguckt.
Früher interessierte mich eigentlich nur das Äußere an den Mädels. Das war einfach zu inspizieren. Auf Fummelpartys reichte meist eine gedimmte Lampe und ein halbwegs funktionierender Tastsinn. Ich war der Meinung, Frauen seien mit ihrer eigenen Gefühlswelt eh schon bestens vertraut - sie müssen sich ja nur tagsüber mal an den eigenen Titten spielen - dachte ich.
Also war klar: Wer Zugriff auf die Brüste hat, hat automatisch auch Zugriff aufs Innenleben. War ein Irrtum - großer Irrtum.
Deswegen habe ich meine erste Frau wohl auch nach den falschen Kriterien ausgesucht. Ich dachte: Verfügbarkeit ist unbedingt anzustreben! Heute weiß ich: Nähe hat nichts mit Zugriff zu tun.
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